Niederländergasse 7 – heute Grazer Straße 95 (verlegt 2010, erneuert 2011 und 2015)
Juliane Taul
Eine „taubstumme“ junge Frau wird umgebracht
Geboren 15.11.1921, Wiener Neustadt, ledig; Heilanstalt Mauer-Öhling, am 12.5.1941 Transport nach Hartheim und am selben Tag ermordet.
Juliane Taul wurde 1921 gehörlos geboren. Die Familie lebte in der Pognergasse Nr. 14. Im September 1928 übersiedelte Juliane für zwei Jahre in die NÖ. Landes-Taubstummenanstalt in der Schneeberggasse Nr. 21. Danach war sie wieder bei ihrer Familie in der Pognergasse gemeldet. 1937 starb der Vater, die Mutter übersiedelte mit den Kindern Juliane, Anna und Karl in die Niederländergasse Nr. 7. 1939 zog die Mutter von dort mit den beiden jüngeren Geschwistern aus und Juliane Taul blieb allein in der Wohnung gemeldet. Eintragung am Meldezettel von Juliane: „taubstumm, arbeitsunfähig“ und mit Datum 1. Juni 1940 die Abmeldung nach „Mauer-Öhling Heilanstalt“. Der unmittelbare Anlass für die Einlieferung ist nicht bekannt.
Die Gründe dafür lagen aber auf der Hand. Der schon seit dem 19. Jahrhundert zunehmende Wahn einer gesunden, leistungsfähigen, arischen Rasse, die allen anderen Völkern überlegen sein sollte und letztendlich über sie siegen würde, gewann zusehends an Bedeutung. Unter Hitler wurden die bis dahin krausen Theorien in die schaurige Praxis umgesetzt – bis hin zur Zwangssterilisierung und der „Vernichtung unwerten Lebens“. Schon im so genannten Erbgesundheitsgesetz vom 25.7.1933 (in Österreich erst am 1.1.1940 in Kraft getreten) war geregelt, wer „erbkrank“ war, nicht heiraten durfte und keine Kinder zeugen oder bekommen durfte. Hier heißt es:
„Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet:
[…]
6. erblicher Blindheit
7. erblicher Taubheit,
8. schwerer erblicher körperlicher Mißbildung.“
Die 1940 begonnene „Euthanasie“ war nur die Fortsetzung und Verschärfung dieser Maßnahmen, um schneller das „hehre“ Ziel einer gesunden Rasse zu erreichen.
Die Einlieferung des 19-jährigen Mädchens in Mauer-Öhling ist mit 3.6.1940 angegeben. Sie erfolgte kurz vor dem Besuch einer hochrangigen Ärztekommission in der Ansatalt. Dabei wurden die Daten aller Patienten auf Meldebogen nach Berlin geschickt, wo anhand dieser Bogen entschieden wurde, wer ermordet werden sollte und wer weiterleben durfte. Juliane Taul wurde aufgrund ihrer Gehörlosigkeit als „lebensunwert“ eingestuft. Eine Krankengeschichte oder sonstige Unterlagen über den Aufenthalt in der „Heilanstalt“ gibt es nicht. Sie wurden vermutlich vernichtet.
Am 12.5.1941 wurde das Mädchen in einem Transport mit 28 Männern und 41 anderen Frauen „in eine der Direktion nicht genannte Anstalt“ deportiert. Tatsächlich brachten die grauen Autobusse die Pfleglinge in die Tötungsanstalt Hartheim, wo sie am selben Tag durch Giftgas ermordet wurden.
Das ehemalige Wohnhaus, wo Juliane Taul lebte, musste später dem Bau der Grazer Straße weichen und stand damals am Platz des heutigen Finanzamtes.
Anton Blaha