Bahngasse 38 (verlegt 2022)

Adolf und Amalia Jaul

Flucht bis vor die Küste Palästinas – Tod in Atlit und auf Mauritius

Aus dem westungarischen Raum hatten sich im 19. Jahrhundert einige Mitglieder der Familie Jaul sowohl im Verwaltungsbezirk als auch in der Stadt Wiener Neustadt angesiedelt. Die erfolgreiche Zuwanderung ins südliche Niederösterreich motivierte weitere Familienangehörige in die Region oder aus einer hiesigen Landgemeinde in die Provinzstadt zu kommen, darunter auch Adolf Jaul, der am 12. Oktober 1871 in Wiesmath geboren worden und als Handlungsreisender in der Grenzregion tätig war. Seine Ehefrau fand er im nahen Hochwolkersdorf: Amalia „Mali“ Winkler, geboren am 12. Juli 1872 in Hochwolkersdorf, Tochter von Heinrich und Julie (geborene Gerstl).

1906 wählte das Paar die Steinfeldstadt als Domizil aus. Damals kam es mit seinen beiden Kindern Hilda, geboren am 25. April 1899, und Emil, geboren am 18. Oktober 1901, vom Geburtsort derselben, Neufeld, in die Stadt und nahmen in der Brodtischgasse 5 sein erstes Quartier. Adolf fand in der Munitionsfabrik Arbeit. Die Familie wohnte seit dem Ende der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts im „Städtischen Bürgerhof“ in der Bahngasse 38. Nach dem Ersten Weltkrieg führte Adolf an der genannten Adresse eine Gemischtwarenhandlung, welche den Namen „Jaul & Gerstl“ trug, was auf eine wirtschaftliche Kooperation mit der Familie Gerstl hinweist und nicht überrascht, da die Familien Jaul, Gerstl und Winkler durch Heiraten verbunden waren.

Nach dem „Anschluss“ wurde Adolf Jaul gezwungen, seinen Handel mit Gemischtwaren einzustellen. Er verließ daraufhin im Juli 1938 mit seiner Frau die Stadt und konnte mit ihr in der Pramergasse 21 in Wien verbleiben. Große Sorge bereitete der Familie die Verhaftung des Sohnes Emil, der in Dachau und Buchenwald inhaftiert wurde. Während er aber entlassen und aufgrund der finanziellen Unterstützung von Angehörigen nach Italien zu flüchten vermochte, blieb ein Ausreiseantrag der Familie nach Bolivien aussichtslos.

Doch dann eröffnete sich plötzlich nicht nur für Adolf und Amalia, sondern auch für deren Tochter Hilda, gemeinsam mit ihrem Mann Erich Schischa und deren Kindern Lilly und Walter, die Chance, mit einem Schiffstransport über die Donau nach Palästina zu gelangen. Am 4. September 1940 begann die entbehrungsreiche Reise ins Ungewisse. Was von viel Hoffnung getragen wurde, sollte ein bitteres Ende mit sich bringen: Adolf erkrankte an Typhus und verstarb nur wenige Tage nach seiner Ankunft in Atlit. Seine Frau Amalia wurde von den britischen Behörden nach Mauritius transportiert, wo sie 1941 in der Internierung starb. Allein Emil und (nur mit großem Glück dank einer Rettungsaktion aus der vor der Küste Palästinas sinkenden „Patria“) Hilda – mithin Erich, Lilly und Walter Schischa – überlebten.

© Werner Sulzgruber